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Übers Reden und Schweigen – Weihnachtsspecial

Ich bin gerne alleine. Aber seit Oktober war ich anscheinend ein bisschen zu viel allein. Ich habe überlegt, wann ich mit Leuten gesprochen habe und es sind nicht sehr viele Gespräche zusammengekommen.

Ich selbst zähle übrigens nicht als Gesprächspartnerin. Schade eigentlich, ich sag immer genau, was ich mich auch schon die ganze Zeit gefragt hab.

Hier also mein Dezember im Gespräch:

5. Dezember

Schwester 1 ruft an, sie erreicht Schwester 2 nicht. Es wäre wegen einem Weihnachtsgeschenk für Mama. Ich rufe Omi an, erfahre, dass sie bereits ein anderes Geschenk hat und dann rufe ich Schwester 2 an. Sie hebt sofort ab. Mama-Geschenk mit ihr besprochen. Neffe nimmt Schwester das Telefon weg. Ich rede mit ihm. Er antwortet nicht, weil er mich nicht sehen kann. Das verwirrt ihn. Schwester 1 angerufen und Mamageschenk mit ihr besprochen.

9. Dezember

Mit der Kassiererin bei Spar gesprochen, weil die Kartenbezahlung nicht funktioniert. Auch der Bankomat vor dem Haus will mir kein Bargeld geben. Als ich von der Bank -mit Bargeld! – zurückkomme, wurde mein Einkauf bereits wieder im Geschäft verteilt. Es fühlt sich ehrlich gesagt ein bisschen wie Osterhasensuche an.

Überlege, ob ich jemanden anrufen soll, lasse es dann aber doch. Menschen sind kompliziert. Offensichtlich wollen sie mit mir nur über Whats App oder Facebook-Messenger kommunizieren. Warum ihnen ihre Wohlfühlzone kaputt machen?

10. Dezember

Bin bei meinem aktuellen Samenspender. Er redet über die Arbeit, ich auch. Es fühlt sich komisch an, mit Sperma in der Tasche nach Hause zu fahren. Ich überlege, was passieren würde, wenn meine Tasche jetzt gestohlen wird. Hihi. Ich mag es lieber, wenn der Samenlieferant zu mir in meine Wohnung kommt, und das habe ich ihm vorher auch gesagt. Aber man kann ja nicht alles haben.

15. Dezember

Pizzabote fragt: Wie heißt du? Ich bin kurz verwirrt, er hat schließlich an meine Tür geklopft. Ich erinnere mich trotzdem an meinen Namen. Gott sei Dank. Sonst hätte ich mein Essen nicht bekommen. Schließlich ist mein Name der magische Schlüssel, der seine grüne Transportbox öffnet.

16. Dezember

Postbote klingelt, kommt zu mir in den dritten Stock geklettert und bringt mir ein Mini-Paket, das nicht in den Briefkasten hineingepasst hat. Ich sage: Danke, schönen Tag noch. Er sagt: Dir auch.

Soll ich wen anrufen? Aber wen? Und wieso? Ich bin doch nicht im Ernst zu einer extrovertierten Bitch mutiert, die Leute völlig grundlos anruft und dann vielleicht noch von sich aus Dinge erzählt, die nicht mal erwähnenswert sind. Wozu denn? Pah! Soweit kommts noch.

17. Dezember

Mama ruft in der Früh an. Sie fahren nach Wien, Oma Geschenke vorbeibringen und dann könnten sie am Nachhauseweg über Graz fahren und mich mit nach Kärnten nehmen. Wenn ich Lust habe. Ich bin darauf nicht vorbereitet und ärgere mich ein bisschen. Ich sage trotzdem ja, weil mir das Alleinsein langsam auf die Nerven geht. Ich stopfe also fünf Tage Arbeit in einen und arbeite so schnell wie ich noch nie in diesem Jahr gearbeitet habe. Pfau, bin ich gut.

Als ich alles konvertiere und speichere, schreibt Mama: sind in einer halben Stunde da. Meh. Ich packe schnell und hoffe ich hab nichts vergessen.

Familienfest

Weihnachten ist das einzige Fest, auf das ich bestehe. Alles andere, Ostern, Geburtstag, Wasauchimmer kann ich alleine bleiben. Aber nicht an Weihnachten. Da gehts nur darum, den anderen beim Geschenke auspacken zuzuschauen (Live- Reaction) und dann gemeinsam stundenlang am Tisch zu sitzen, Raclette zu essen und zu quatschen. Und da es das einzige Mal im Jahr ist, deshalb feiern wir auch erst am 25.12.! Extra!) wo wirklich alle Geschwister und Schwiegerleute versammelt sind, ist das halt lustig. Das ist wichtig. So wichtig, dass ich zehn Tage auf der Couch im Wohnzimmer schlafe. Mein Rücken gewöhnt sich aber schon wieder dran. Das um sechs Uhr Früh aufgeweckt werden braucht noch ein bisschen. Aber hey: I’m all in!

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Von Lügen und Loyalität

Wenn man einen Verein gründet, kann man schon fix damit rechnen, dass es Intrigen und Streit geben wird. Meist führt der Streit zu Abspaltung, Erneuerung und Neustart – oder zum Ende.

Meist gibt es machtgierige Personen, Lügner*innen und Leute, die nicht auf Privilegien verzichten wollen, die sie sich gar nicht erarbeitet haben. Das Wohl aller wird vergessen und eigene Motive werden rücksichtslos verfolgt. Manchmal ist man überrascht, wer welche Ziele verfolgt. Manchmal hat man es schon von weitem – in Zeitlupe – kommen gesehen und hat nichts dagegen gemacht, weil man das Schlimmste befürchtet, aber das Beste gehofft hat.

Out with the old

Einige Menschen haben „menschliche Größe“. Sie wissen, dass sich was ändern muss, wählen aber einen humanen, vielleicht sogar liebevollen Weg. Vielleicht sogar einen, der mehreren Leute nutzt und nicht nur ihnen selbst.

Und dann gibts eben Arschlöcher. Diese Spezies denkt nur an persönlichen Vorteil und vernichtet alle, die ihren Zielen anscheinend im Weg stehen. Sie sind sich sicher, dass alles Alte ausgelöscht werden muss, um etwas Neues (oder Altes in neuem Kleid) zu machen. Zur Vernichtungsstrategie gehören Lügen, Intrigen und gelegentlich Rechtsstreits, die auf den Lügen und Intrigen fußen. Warum muss man die Gründer*innen und Mentor*innen vernichten, bevor man was Neues anfängt?

Und wieso funktionieren Lügen über Menschen so gut? Weil sie nicht an den Haaren herbeigezogen sind. Menschen können Menschen manipulieren, das ist normal für sie. Und Menschen sind einfach menschlich. Sie haben Fehler, sie haben schlechte Tage, sie wünschen sich manchmal, dass alle um sie herum einfach verschwinden!

Und genau da setzen die Lügen an. Bei allen Schwächen. Alles, was nicht okay war, wird aufgeblasen zu einem Skandal. Dinge, die vor Jahren schon geklärt waren, werden plötzlich wieder ausgegraben. Perspektive ist alles. Wer zuerst spricht, dem glaubt man. Denn alles, was danach kommt, klingt wie eine Rechtfertigung.

Und die anderen sagen: „Ach, ich habs mir ja schon immer gedacht.“ Niemand ist überrascht.

Aber was wäre, wenn all diese Erzählungen so stark übertrieben sind, dass man sie nur noch als Lügen bezeichnen kann? Was wäre, wenn das, was ihr euch „eh schon gedacht“ habt, in Wahrheit von jemandem ganz anderen verbrochen wurde? Jemand, den man noch braucht, und den man deshalb nicht bezichtigen kann. Deshalb beschuldigt man die, die ins Feindbild passen. Manchmal gab es Fehler, die diese Menschen gemacht haben. Sie waren nicht so schlimm, wie man sie darstellt. Aber der Skandal ist geschaffen. Die Fronten sind festgelegt. Die Mehrheit will Alteingesessene fallen sehen. Die Mehrheit ist sensationsgeil.

Und deshalb schweigen die, die die Wahrheit kennen.

Silence is a weapon

Ich kenne die Wahrheit und schweige auch. Nicht weil ich will, dass sich alles ändert. Nicht weil ich das Alte fallen sehen will. Sondern weil ich sehr selten tatsächlich sage, was ich denke. Ich bin eine von den Stummen. Und die Stummen sind die größten Feinde der Wahrheit. Wenn wir nicht mitreden, gewinnen die, die Lügen erzählen. Also warum erzähle ich nicht die Wahrheit? Weil ich keine direkt Betroffene bin? Weil ich nicht mit hundert Idioten herumstreiten will? Vielleicht. Ja, ganz bestimmt sind das auch Gründe.

Ich war immer die, die schweigt. Das heißt, dass man mir Geheimnisse anvertraut und ich verwahre sie. Das heißt, das Leute zu mir kommen, damit sie ihren Scheiß bei mir abladen können. Das heißt, dass ich erst rede, wenn jemand zu mir sagt: Raus damit.

Bisher habe ich nur mit Leuten gesprochen, die mich nach der Wahrheit gefragt haben. Da hab ich dann im Einzelgespräch erzählt, wie ich die ganze Situation wahrnehme. Und alle so: Wow, oh, okay, wir glauben dir. Zumindest ein bisschen, weil: Es muss doch was Wahres dran sein? So arge Lügen erfindet man doch nicht zum Spaß? Doch. Manche Leute erfinden soo arge Lügen, nicht aus Spaß, sondern um sich Vorteile zu verschaffen. Marketing. Und ich stoppe die Leute, ich berichtige die Lügen, aber eben auf kleiner Ebene. Ich spreche mit Leuten, die ich erreiche. Ich nütze nicht das Internet um Leute zu erreichen, weil ich Diskussionen im Internet idiotisch finde. Die Leute sagen Dinge, die sie sich in echt nicht zu sagen trauen. Deshalb schreibe ich keine großen Postings. Ich lasse mich nicht darauf herab.

Vielleicht ist das ein zu einfacher Weg für mich. Vielleicht ist es an der Zeit, mein Schweigen im großen Stil zu brechen. Denn viele Leute haben es einfach verdient, dass ich Klartext rede. Viele Leute haben meine Loyalität ganz einfach nicht mehr verdient. Denn sie haben viel zu viel Scheiße gebaut. Wenn dein Leben anderen schadet, dann musst du dein Leben ändern. Sonst kannst du gleich von der nächsten Brücke springen.

Das führt mich zu einer alles bestimmenden Frage: Schadet mein Schweigen mehr oder schadet mein Reden mehr?

Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte von Ralf Isau

Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte von Ralf Isau

Pala.Cover

Roman

445 Seiten

Bastei Lübbe

Gekauft bei/um: ausgeborgt

 

Inhalt:

Pala ist ein kleines Mädchen, das in der Stadt Silencia aufwächst. Dort sind Worte die Hauptattraktion (zB sind Gebrauchsdichter und Geschichtenerzähler gute Berufe) und jedes Kind bekommt ein Geburtsgedicht. Auf vielen Häusern sind Gedichte in die Wände eingraviert. Palas Geburtsgedicht ist etwas Besonderes, da nicht ihr Vater es geschrieben hat, sondern ein Unbekannter. Als Pala an diesem Tag zu Nonno Gaspare kommt, kann der alte Geschichtenerzähler nicht mehr reden. Noch schlimmer: er kann auch den Sinn der Worte nicht mehr verstehen. Pala muss, weil sie ihn angefasst hat, mit in die Quarantäne und wird Zeugin, wie immer mehr Leute die Sprache verlieren.

Spoiler:

Pala merkt, dass ein Wesen den Leuten die Sprache wegsaugt und als Nonno Gaspare immer wieder zu dem Schloss zeigt, das dem reichen Mann Zitto gehört, weiß Pala, dass sie sich in das Schloss schleichen muss. Doch jetzt kommt die Magie ins Spiel. Als Pala auf die Mauer klettert, kann sie nicht überwunden werden, sie scheint zu wachsen. Mittlerweile werden die Leute immer reicher. Palas Mutter beginnt zu arbeiten. Pala findet es komisch, dass alle bei Zittos Geschäften Arbeit finden. Schließlich schenkt Zitto allen Papperla-Papageien. Papageien, die, wenn man sie mit Plapperperlen füttert, die Nachrichten, Witze, Gerüchte erzählen. Pala hält das Geplapper nicht lange aus, doch die Erwachsenen hören einander nicht mehr zu, streiten sich nur noch und glauben nur noch, was der Papagei erzählt. Pala erschlägt ihren Papagei und bemerkt, dass es sich um eine Maschine handelt. Im Streit erfährt sie, dass ihre Eltern gar nicht ihre richtigen Eltern sind.

Nun will Pala erst recht zu Zittos Schloss kommen. Mit Giuseppe, Nonno Gaspares Sohn, findet sie einen Geheimweg. Im Schlosspark ist es sehr kompliziert, denn wieder ist der Weg nicht einfach nur ein Weg. Das Schloss scheint in unerreichbare Ferne zu rücken. Doch Pala ist eine Wortschöpferin und in Zittos Reich kann sie alles, was es noch nicht gibt erschaffen, in dem sie es sich vorstellt und laut sagt. Zum Beispiel Antilowen (eine Mischung als Antilope und Löwe). Sie freundet sich mit einem Wortklauber namens Tozzo an. Wortklauber sind die Viecher, die den Leuten die Worte aussaugen. Allerdings tun sie dass nicht freiwillig, sie werden von Zitto gezwungen.

Mit Tozzos Hilfe kommen sie immer näher zum Schloss. Pala verliert die anderen und geht den letzten Weg alleine.

In Zittos Schloss wird sie nicht sofort getötet, denn Zitto lässt sie Prüfungen bestehen und plaudert mit ihr. Er sagt ihr, sie sei seine Urenkelin, auch die Enkelin von Nonno Gaspare und sperrt sie ein. Er erklärt ihr die zusammenhängenden Sonette. Und Pala weiß plötzlich, dass das Meistersonett den Leuten die Worte wieder zurückbringen wird. Tozzo bringt das Meistersonett zu Nonno Gaspare, der seine Stimme wiederfindet und allen das Gedicht vorträgt. Das Schloss beginnt zu brennen und Pala entkommt nur knapp.

Am Schluss lernt Pala ihren leiblichen Vater kennen Primo, den älteren Sohn von Gaspare Oratore. Sie lebt weiterhin bei ihrer Familie und wird Parola genannt. Also ist Giuseppe Oratore ihr Onkel. Das Schloss wird wieder aufgebaut und ein Museum sowie eine Bildungs- und Forschungsstätte, die sich der Sprachpflege widmet. Ehrenpräsident wird Gaspare Oratore, später übernimmt die sprachgewaltige Parola Oratore das Amt, die mit ihrem Kinderfreund Pasquale verlobt ist.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Sonett. Auf dieses Gedicht wird dann immer wieder eingegangen, trotzdem habe ich sie meist überlesen. Sie sind für die Handlung auch nicht wichtig.

 

Zuerst kommt die Handlung so gar nicht in Fahrt. Die Sprache ist ziemlich aufbauschend, im Grunde passiert immer etwas, aber doch sehr wenig. Die einzelnen Ideen sind großartig. Sehr beängstigend, dass da genau das beschrieben wird, was eigentlich hier in der Welt gerade passiert: Menschen setzen sich vor eine Maschine, anstatt miteinander zu reden. Gerade in einer Stadt wie Silencia hätte man nicht gedacht dass die Sprache so schnell als seltsam empfunden wird und die Massenbefriedigung kampflos angenommen wird.

Gegen Ende wird die Geschichte sehr spannend, das Ende ist großteils vorhersehbar, das stört aber nicht.

 

Der Autor Ralf Isau (geb. 1956) schrieb auch die „Neschan“-Triologie, die „Der Kreis der Dämmerung“-Serie und „Der Silberne Sinn“.