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Helene Kottannerin

Schon mal was von Helene Kottannerin gehört? Ich auch nicht. Jetzt studiere ich schon so lange Geschichte, beschäftige mich über zehn Jahre mit den Habsburgern und trotzdem tauchen immer wieder Geschichten auf, von denen ich noch nie etwas gehört habe. So auch der Raub der Stephanskrone durch Helene Kottanner.

„Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439-1440)“

Die Handschrift „Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin“ sind die ältesten deutsch-sprachigen Frauenmemoiren. Der Inhalt beschäftigt sich mit Geschehnissen aus dem Jahr 1439/40, man nimmt an, dass die Handschrift etwa 1450 entstand. Mit der Geschichte des Diebstahls der Stephanskrone beschäftigten sich die unmittelbaren Zeitgenossen (die Humanisten Aeneas Sylvius Piccolomini (1405 – 1464), Johann Dlugosz (1415 – 1480) und der Kaufmann Eberhard Windecke), sowie die Nachwelt. Die „Denkwürdigkeiten“ sind jedoch der einzige Augenzeugenbericht. Wie bei allen Quellen muss man vorsichtig sein, denn die Handschrift gibt die Perspektive der Helene Kottannerin in Ich-Form wieder.

Die Handschrift und die Überlieferung

Die Handschrift ist in der Nationalbibliothek in Wien. Sie besteht aus 16 auf beiden Seiten beschriebenen Blättern. Blatt 1 ist stark beschädigt. Der Bericht bricht mitten im Satz ab, das heißt, die Handschrift ist ein Fragment. 1834 wurde die Handschrift kopiert und so wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Erst 1846 wurde von einem unbekannten Herausgeber (vielleicht der Wiener Universitätsprofessor Stefan L. Endlicher) der Text der Handschrift publiziert. Dazu gab es Anmerkungen, andere Quellen, eine chronologische Übersicht der Geschehnisse, ein Namensregister und ein Glossar, aber keine textkritischen Bemerkungen.

Der Text wurde nicht buchstabengetreu, sondern modernisiert herausgegeben. Die ersten beiden schadhaften Seiten wurden nicht ergänzt. Im allgemeinen Interesse stand der Kronenraub und die Auswirkungen. Die historischen, volkskundlichen und sprachgeschichtlichen Angaben, die heute als so wertvoll angesehen werden, wurden vernachlässigt. Der Quellenwert der „Denkwürdigkeiten“ wurde von mehreren Historikern bestätigt. Es gibt eine Urkunde vom 17. März 1452, in der Johann Kottanner und seiner Frau Helene für ihre Dienste für König Ladislaus V. ein zur Pressburger Burg gehörender Besitz (Kisfalud) geschenkt wird. Diese Schenkung wurde erst 1470 von König Matthias von Ungarn bestätigt. Als Gustav Freytag die „Denkwürdigkeiten“ in seiner „Frau am Fürstenhofe“ 1866 verarbeitete, wurde das Werk weiteren Kreisen bekannt. Emmerich Henszelmann versuchte anhand der „Denkwürdigkeiten“ eine Identifizierung der einzelnen Räume der Plintenburger Ruinen.
Der Archivar und Historiker Karl Uhlirz stellte fest, dass die „Denkwürdigkeiten“ zwischen dem Tod der Königin Elisabeth (also nach dem 19. Dezember 1442) und vor dem Tod von König Ladislaus V. (also vor dem 23. November 1457) verfasst wurden. Uhlirz machte die ersten textkritischen Bemerkungen. Zum Beispiel stellte er fest, dass die erste Hand die Namen Helenes und ihrer Mithelfer leer ließ – aber dass der Name ihres Mannes schon hingeschrieben wurde, übersah er.
Karl Mollay weist immer wieder daraufhin, dass Helene Kottannerin ihre Rolle betont, etwas, das im Mittelalter ganz unüblich war. Deshalb geht er davon aus, dass die ganze Geschichte nur erzählt wurde, um Ladislaus zu zeigen, wie wichtig Helene selbst für die Aktion war. Die Belohnung erfolgte 1452, also nimmt man die Zeit um 1450 als Entstehungszeit der Handschrift an.
Außerdem bezweifelt Karl Mollay, dass die erhaltene Handschrift das Original ist. Er weist auf die vielen Fehler hin, besonders auf die ausgelassenen Wörter und die Fälle, „wo die erste Hand ein Wort beginnt, dann jedoch bemerkt, daß vorher ein Wort, zwei Wörter oder gar ein ganzer Satz ausgeblieben sind, und diesen Fehler verbessert.“ Er meint, dass solche Fehler nicht entstehen, wenn jemandem diktiert wird, sondern wenn ein Schreiber eine Abschrift anfertigt. Natürlich kann man nicht wissen, ob die Originalhandschrift oder auch diese Abschrift von Helene Kottannerin selbst geschrieben wurde; Mollay geht davon aus, dass eine Frau im 15. Jahrhundert einfach nicht dazu in der Lage war.

Inhalt der Handschrift

Da der Inhalt der Handschrift zu umfangreich für diese Arbeit ist, beschränke ich mich auf den Kronraub und die Rolle, die sich Helene Kottannerin darin zuschreibt.

Helene Kottannerin trifft mit der Königstochter Elisabeth zwischen Ostern und Pfingsten 1439 von Wien kommend in Pressburg ein.
Albrecht lässt wegen des Aufstandes der Ofner Ungarn die Krone und die Krönungsinsignien in Sicherheit bringen. Wegen der drohenden Kriegsgefahr reist er zwischen verschiedenen Lagern Südungarns herum. Er ließ die zwei Kronen und die Krönungsinsignien auf die Plin-tenburg, den traditionellen Aufbewahrungsort, überführen. Die Plintenburg gehört der Köni-gin. Helene Kottannerin ist dabei, als die Krone im zweiten gewölbten Raum (Schatzkammer) im Erdgeschoß des sogenannten fünfeckigen Turmes der Plintenbrug, im Beisein der Landes-herren dem neuen Kronhüter, Graf Georg (III.) von St. Georgen und Bösing, zur Aufbewahrung übergeben wird.
Der König erkrankt an der Ruhr, wird nach Plintenburg gebracht, dann weiter nach Wien, wobei er bereits in Langendorf stirbt. Mit Albrechts Tod rückt die Königskrone in den Brennpunkt der Ereignisse und damit in den Mittelpunkt der Erzählung, sodass wir nichts über die Bestattung des Königs hören.

Die Krone gilt bis heute als die wichtigste Reliquie Ungarns.
Das Volk glaubte daran, dass diese Krone nur dem rechtmäßigen Herrscher zustand, denn sie symbolisiert Kontinuität. Die Herrschaft des Königs musste immer neu realisiert werden, da die Krone für den bodypolitic steht, also als Zweitkörper des derzeitigen Königs (body natural) dient. Body politic und body natural müssen bei jeder Krönung, bei jedem neuen König neu zusammengefügt werden.
Elisabeth will die Krone als Versicherung. Wenn ihr Sohn der neue König ist, muss sie nicht den jungen polnischen Herrscher heiraten, sie kann ihre Herrschaft fortsetzen.

Die Königin bestellte die Grafen Nikolaus (II.) und Georg (II.) von St. Georgen und Bösing zu sich und überzeugte sich persönlich, ob die zwei Kronen auf der Plintenburg geblieben waren. Die Kottannerin war Augenzeugin, als die zwei Kronen aus der Schatzkammer in das Gemach der Königin getragen wurden, als nachts in diesem Gemach ein Feuer entstand, als am nächsten Tag die Kronen wieder in die Schatzkammer getragen, der Kronhüter Graf Georg seines Amtes enthoben und der Vetter der Königin, Ladislaus von Gara, zum neuen Kronhüter eingesetzt wurden.

Die wichtige Rolle der Helene Kottannerin

Auffallend ist, wie die Kottannerin ihre eigene Rolle hervorhebt, was sonst in dieser Zeit unüblich ist. Königin Elisabeth bespricht sich mit ihrem engsten Berater, Grafen Ulrich von Cilli. Dann bittet sie Helene Kottannerin die Krone aus der Plintenburg zu ihr zu schaffen. Helene Kottannerin fühlt sich mit dieser Bitte überfordert. Sie kann sich niemandem anvert-rauen, fragt Gott um Rat. Und schließlich meint sie, dass sie die größere „Schuld vor Gott und der Welt“ hat und diese Aufgabe unbedingt übernehmen muss. Dieser Diebstahl ist für sie ein Kampf für die gerechte Sache, eine Auseinandersetzung zwischen dem Guten und dem Bösen. Gott wird nicht um Hilfe angerufen, er wird zum Hauptakteur gemacht – also er macht sein wunderwerch und es ist sein Wille.
Tatsächlich ist es ein gut vorbereiteter Einbruch. Der ungarische Adelige, der bereit ist zu helfen, hat zwei Feilen und neue Schlösser in seinen Stiefeln versteckt. Helene trägt das Siegel der Königin bei sich, damit der aufgebrochene Raum wieder verschlossen werden kann. In der Nacht des 20. Februar 1440 geht dieser Einbruch über die Bühne.
Während die Männer feilen, liegt die Kottannerin auf den Knien und betet – sie sorgt so dafür, dass alles gut geht. Als sie Geräusche hört, ist sie überzeugt davon, dass der Teufel kommt und reagiert mit mehr Beten und mit dem Gelübde, barfuss eine Wallfahrt zu machen. In der eigenen Darstellung ist sie daher genauso wichtig, wie die Leute, die die Tür aufbrachen.
Die Krone wird von der Plintenburg nach Kormon überführt. Knapp eine Stunde später wird dort dann der Thronfolger geboren.
Nach der Geburt von Ladislaus dreht sich alles um den Kleinen. Freudenfest, Taufe. Die Kot-tannerin näht in der Kormoner Burgkapelle die Krönungsgewänder für den kleinen Königs-sohn. Auf der Reise von Kormon in die Krönungsstadt Stuhlweißenburg spielen die zwei Frauen die wichtigste Rolle: die Königin verhandelt mit den mitziehenden Adelsherren, die Kottannerin reitet neben dem kleinen Thronerben oder trägt ihn zu Fuß. Am Krönungstag kleidet sie ihn zur Krönung an, sie trägt ihn in die Kirche, sie hält ihn während der Schwert-leite, der Salbung und der Krönung am Arm.
Dann folgt der Versuch, die Rechtmäßigkeit der Krönung des Ladislaus Postumus zu beweisen. Bei der Beschreibung des Krönungszuges behauptet sie, dass neben der Stephanskrone auch der Reichsapfel, Zepter und Legatsstab verwendet wurden, obwohl diese Krönungsinsignien auf der Plintenburg geblieben waren.
Das ist die einzige Stelle in den Denkwürdigkeiten, die sich als (nachweisbar) unwahr erwies.
Durch dieses Herausheben, dass Helene Kottannerin selbst so wichtig für das ganze Unter-nehmen war, geht man eben davon aus, dass alles zu dem Zweck niedergeschrieben wurde, dass die Kottannerin Ladislaus klar machen wollte, wie wichtig sie war und das sie eine Belohnung verdiente, die sie dann ja auch bekam.

Wichtige Anhaltspunkte für die Forschung

Man kann herauslesen, dass Helene Kottannerin eine tatkräftige, schlagfertige, praktische Frau ist, mit einer feinen Beobachtungsgabe und gute Menschenkenntnis. Sie sprach kein Ungarisch, verstand es aber, und konnte sich in den ungarischen Hofintrigen zurechtfinden. Der literarische Wert der „Denkwürdigkeiten“ wird stets betont, auch über Volksglauben und Volksmedizin und natürlich die Sprache kann man viel erfahren. Außerdem werden dank Helene die agierenden Personen unter einem sehr seltenen Blickwinkel dargestellt. Zu dem öffentlichen und „privaten“ Auftreten der Adeligen und deren Beziehungen zu ihrem Umfeld wurden schon mehrere Aufsätze verfasst.

Literatur

Mollay, Karl (Hrsg.): Die Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin (1439 – 1440). Wien 1971.
Wenzel, Horst: Zwei Frauen rauben eine Krone. Die denkwürdigen Erfahrungen der Helene Kottannerin (1439-1440) am Hof der Königin Elisabeth von Ungarn (1409-1442). In: Schulte, Regina (Hrsg.): Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt seit 1500. Frankfurt am Main 2002.

Dieser Aufsatz wurde von mir im Sommersemester 2015 für einen Kurs an der Universität Graz verfasst. Details, Recherche, Abbildungen und Vollversion können bei mir auf Anfrage eingesehen werden. Wie immer: Falls euch Fehler auffallen, bitte bei mir melden! – Patricia Radda

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