Tiktok, YouTube und Instagram und alle „shorts“ brechen uns mitten im Wort ab, also ist es extrem wichtig, alles, was wir sagen wollen, in den ersten 30 Sekunden loszuwerden – nur für den Fall.
Nur für den Fall, dass die Aufmerksamkeitsspanne dann vorbei ist. Nur für den Fall, dass es mich doch nicht interessiert, nur für den Fall, dass ich nicht mehr als eine Minute verschwende, mit Videos, die ich gar nicht sehen wollte. Oder Geschichten, die ich gar nicht hören wollte. Deshalb sind Slam-Poetry-Texte auch maximal 5 Minuten. Wegen der Abwechslung, wegen der Aufmerksamkeit. Weil alles – aber wirklich alles! Kann man einige Minuten aushalten.
Welche Schriftstellerin, welche Wortakrobatin, welcher Mensch wird schon gerne unterbrochen?
In der Kürze liegt alles. Nicht die Würze, sicher nicht, das wäre zu abgedroschen. Aber die Genauigkeit, die Aufmerksamkeit, die Perfektion, die Schnelligkeit!
Das Schöne! Liegt in der Kürze.
Social Media zwingt uns also schneller zu reden, uns kürzer zu fassen, hektischer zu sein, in Teilen zu denken. Niemals findet man Part 2! Alles Anfänge, keine Enden. Alles Serien ohne Finale! Frühstück wird zu Espresso, Mittagessen wird zu Smoothie!
Ja, vielleicht bin ich zu alt, aber eigentlich lautet mein Lebensmotto seit ich zwei Jahre alt bin: HETZ MICH NICHT!
Und das verlernen gerade alle!
Alles muss immer schnell gehen. Und ich habe die perfekte Lösung gefunden.
Ich umgebe mich ausschließlich mit Kleinkindern!
Klingt erst mal komisch, aber es ist eine logische Konsequenz. Kleinkinder müssen alles erst lernen. Sie können nicht schnell sprechen, du musst also erst mal fünf Minuten lang zuhören, um zu checken, was sie eigentlich sagen wollten.
Geschichten erzählen -Ewigkeiten.
Und ich steh dabei und ich höre zu und ich nicke und sage: Aha. Das ist ja schön. Und das reicht in 90% der Fälle.
Wenn ich Hühner füttern gehe, ist das eine Arbeit von maximal fünf Minuten, mit Kindern zwanzig!
Und ich verstehe, dass man manchmal eine zu lange To-Do-Liste hat und schnell schnell schnell machen will. Aber ganz ehrlich: Was macht ihr denn mit der gewonnenen Zeit?
Ich sage dir, was die Leute um mich herum machen:
Ramen Jar-Meal Prep. Den 235. Workshop gegen Prokrastination! buchen. Ein neues Workout gegen Bauchfett ausprobieren? Und: Bin ich das Arschloch, weil ich die Kreditkarte meiner Frau genommen habe ohne sie zu fragen? Ja, bist du, ist außerdem auch Diebstahl. Bin ich das Arschloch, weil ich meinem Sohn die Privatschule zahle und von meiner Tochter Miete verlange? Ja bist du und ein sexistisches noch dazu.
Willst du lernen, wie ich als alleinerziehende Mutter von vier Kindern 4.000 Euro pro Woche verdiene?
Also wenn du so fragst: Ja, sicher, voll gerne! Aber ich zahl dir ganz bestimmt keine 600 Euro, damit du es mir erzählst!
Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss meiner Nichte zuschauen, wie sie sich am Couchtisch hochzieht, sich die ganze Couch entlanghandelt, dann versucht, zu ihrer Autokiste zu kommen. Aber sie merkt, dass sie ihr Gleichgewicht gleich verlieren wird, weil sie noch nicht gehen kann, und dann will sie auf allen vieren weiterkriechen, aber mein Neffe, haut ihr eine runter und sie knallt mit dem Kopf gegen seinen und dann heulen sie beide. Er ist ein typischer großer Bruder, aber halt auch erst zwei, also weiß er noch nicht, dass man diese Dinge am besten heimlich macht, wenn niemand zuschaut.
Und dann tröste ich sie beide und habe keine Hand mehr frei, um aufs Handy zu schauen.


