„Braucht Literatur Performance?“ von Patricia Radda


Habt ihr es schon gehört? Ich habe meinen Namen in Estha Sackl ändern lassen. Die Zeitschrift „Die Brücke“ hat das anscheinend gedacht, denn sie hat unabsichtlich (hoffe ich doch) Esthas Namen und Bild und meinen Text abgedruckt.

Hier ist also der Text, den ich eingeschickt habe und der rechtlich gesehen vollkommen und vom ersten bis zum letzten Buchstaben mir gehört- und nicht der herzallerliebsten Estha. Folglich sollten auch alle Kommentare, Beschimpfungen, Anregungen oder Heiratsanträge an mich gerichtet werden und nicht an sie.

Braucht Literatur Performance? von Patricia Radda

Nein. Nein, natürlich braucht Literatur keine Performance. Die einzig wahre, echte, ästhetische Literatur ist schließlich jene, die alleine, tief versunken, an einem stillen Platz gelesen wird. Wörter, die vom Leser oder der Leserin genießend, die Fantasie anregend schnell verschlungen werden und sie dann niemals wieder loslassen, weil sie ein für allemal verzaubert haben.

Nein. Diese Literatur braucht natürlich keine Performance. Diese Literatur ist für eine Elite bestimmt. Diese Literatur ist für eine kleine Schar von Menschen, die, meist schon früh im Kleinkindalter von ihren Eltern, gezeigt bekommen haben, dass Bücher etwas Schönes sind. Eine Elite, die sich arrogant zu allen Fernsehern dieser Welt hinunterbeugt und sagt: „Ach, das Buch war so viel besser!“ Ich muss es ja wissen, ich gehöre zu dieser Elite.

Ich gebe mir nur Mühe, Brücken zu bauen. Ich verurteile Leute nicht, die mir gestehen: „Anna Karenina braucht soooo lange, bis sie drauf geht.“ Nein, ich verstehe euch. Ich will, dass auch diejenigen, die sich täglich nur zehn Minuten Zeit für Worte nehmen können (und dann ist es meistens ein Schundblattl wie die Krone) Literatur erleben. Ich will, dass Schüler*innen aus der Schule kommen und sagen: „Heute haben wir etwas Lustiges gemacht! Wir haben vorgelesen!“

Und eine dieser Brücken zwischen Literatur und Performance, zwischen zuhören und unterhalten werden, baut eben der Poetry Slam.

Was zum Teufel ist Poetry Slam? Du schreibst einen Text. Du stellst dich auf eine Bühne. Du liest den Text vor. Das Publikum entscheidet, ob der Text okay war oder gut oder super. Meistens gibt es ein Zeitlimit von fünf Minuten, gemäß dem guten, alten „Fünf Minuten überlebt man alles!“

Alle fünf Minuten hörst du einen neuen Text. Alle fünf Minuten hörst du eine neue Poetin. Alle fünf Minuten muss dein Hirn auf Null schalten, damit du dich drauf einlassen kannst. Also. Laut gelesene Texte sind immer Performance. Sobald sich Autorinnen hinstellen und aus ihrem Werk vorlesen, ist das schon eine Performance. Und jede Autorin wird mir zustimmen, wenn ich sage: „Bei Lesungen verkauft man mehr Bücher als sonst.“ Das liegt daran, dass Leute neugierig gemacht werden. Weil man sich als Schreiberin, nicht als anonyme Künstlerin, sondern als Mensch, hinstellt und sagt: „Hey, das zeige ich euch heute von mir!“ Und deshalb werden Slammerinnen auch intensiver gefeiert als Wasserglaslesungsautorinnen. Weil sie die Leute noch schockieren, mit allem was sie heute herzeigen können. Sogar die sensationsgeilen Boulevardblattlnleserinnen, auch die werden neugierig. Ganz besonders, wenn man die gesprochene Literatur und ihre fast unendlichen Möglichkeiten auskostet. Mit einem Blick, mit einem Augenbrauenzucken, mit einem Flüstern, mit einer Pause an der richtigen Stelle, mit einem Dialekt oder einem Schrei, wenn es keiner erwartet–! kann man Wörter verzaubern. Und dann werden sie noch mächtiger als sie eh schon sind.

Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit wurde mehr gelesen als heute. Aber eben im Internet. Lächerlich. Bücher sind wie Filme im Kopf. Toll. Gibt’s es etwas Besseres? Ja. Es gibt eine neue Sprache. Es gibt Texte, die werden geschrieben, um sie laut vorzulesen. Warte mal, das ist doch nichts Neues. Das hat Walther von der Vogelweide auch schon getan. Und auch er reiste von Ort zu Ort, um seine Lieder vorzutragen. Ach ja. Wir gehen nicht vor, wir gehen ja zurück. Altes, Bewährtes darf bleiben. Jammere nicht über zu wenige Leser*innen, gehe raus und schrei sie an. Bring sie zum Lachen, bring sie zum Weinen, aber bring Literatur zu ihnen. Denn von alleine kommen sie nicht mehr vom Computer weg. Literatur verändert sich. Verändere dich mit.

Und hier noch der Text von Estha Sackl.

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