“Bahnwärter Thiel“ von Gerhart Hauptmann
Der Bahnwärter Thiel heiratet nach dem Tod seiner ersten Frau Minna, die gesundheitlich kräftigere Lene. Bald weiß jeder, dass Thiel unter Lenes Fuchtel steht, er wird deswegen verspottet. Thiel schottet sich gegen die Außenwelt ab, er erträgt alles mit Gleichgültigkeit. Anfangs widerspricht er Lene noch, wenn es um seinen Sohn aus erster Ehe, Tobias, geht. Doch auch das wird immer seltener. Thiel, der noch immer seine erste Frau liebt, aber von Lene abhängig wird, verbringt die Zeit in seinem Wärterhäuschen damit, an die Verstorbene zu denken. Einmal bildet er sich ein, Minna zu sehen, glaubt aber nicht daran. Tobias entwickelt sich sehr langsam, ist also zurückgeblieben. Er zeigt seinem Vater, das er ihn liebt, und Thiel versucht, diese Liebe zu erwidern.
Lene dagegen beginnt Tobias regelrecht zu hassen, was besonders deutlich wird, als sie einen eigenen Sohn gebiert. Eines Tages bemerkt Thiel, dass Tobias von Lene geschlagen wird. Wohl um Lene von Tobias fern zu halten, bietet er ihr einen neuen Kartoffelacker, ganz in der Nähe seines Häuschens an. Thiel spielt, wenn er Nachtdienst hat, manchmal mit Tobias und den anderen Kindern aus dem Dorf. Darüber regen sich die Leute wieder auf, aber immerhin sind die Kinder bei ihm gut aufgehoben. Als Thiel einmal wieder zum Dienst geht, vergisst er sein Brot, dreht er mit einem unguten Gefühl um, und bekommt mit, wie Lene Tobias anschreit und ihn niedermacht. Doch Thiel hat nicht die Kraft, irgendetwas zu erwidern und so muss der heulende Tobias mit ansehen, wie sein Vater einfach wieder zur Türe hinaus geht, ohne einen Kommentar. Als Thiel den neuen Acker umgräbt, fällt ihm ein, dass Lene ja sehr oft zu ihm kommen würde, um den Acker zu bestellen.
Immer wieder stellt er sich Minna vor. Lene kommt, um den Acker anzusehen. Thiel nimmt Tobias bei seinem Rundgang mit, obwohl Lene dagegen ist. Am Nachmittag kann Thiel sich aber nicht mehr gegen Lenes Wunsch wehren. Sie nimmt Tobias mit, der auf den kleinen Sohn aufpassen soll. Einem Gefühl folgend, schreit Thiel ihr noch nach, dass sie aufpassen soll, Tobias geht gerne in die Nähe der Schienen. Lene zuckt darauf nur mit den Schultern. Thiel merkt erst, was geschehen ist, als der Zug mit quietschenden Bremsen an hält. Tobias wurde vom Zug erfasst. Lene steht unter Schock. Alle kümmern sich um sie und Tobias.
Thiel bleibt in seinem Häuschen. Dann kommt der Zug mit Tobias zurück, er sollte ins Krankenhaus gebracht werden. Als er erfährt, dass Tobias tot ist, wird Thiel wahnsinnig. Er redet mit seiner verstorbenen Frau. Dann wird er ohnmächtig. Lene pflegt den Kranken mit schlechtem Gewissen. Später finden sie Lene und ihr Kind mit durchtrennter Kehle vor. Am nächsten Morgen fand man den Bahnwärter Thiel an der Stelle sitzen, an der Tobias überfahren wurde. Er hält die braune Mütze von Tobias in der Hand.
Thiel kommt ins Untersuchungsgefängnis, wird am ersten Tag schon in die Irrenanstalt überführt.
Der Bahnwärter Thiel ist die Hauptfigur. Man liest seine Gedanken, versteht seinen Geisteszustand und lebt mit ihm mit. Weil er seine erste Frau sehr geliebt hat, beginnt er seine zweite Frau, die das komplette Gegenteil ist, zu hassen. Und doch ist er abhängig von ihr.
Lene ist die zweite Frau des Bahnwärters. Sie versucht, die Familie zusammenzuhalten und gut durchzubringen. Weil sie eben nicht alles perfekt machen kann, gibt sie Thiel die Schuld an jedem Problem. Da Thiel seinen Sohn Tobias mehr liebt als sie, ist sehr eifersüchtig auf den Kleinen. Sie schlägt ihn, und zeigt ihm, dass er nicht ihr Sohn ist.
Minna ist die erste Frau Thiels. Sie ist kränklich und schmal, passt äußerlich also gar nicht zu dem starken Bahnwärter. Sie stirbt während der Geburt des ersten Sohnes, Tobias. Später stellt sich Thiel Minna aber so genau vor und spricht mit ihr, dass sie in der Geschichte am Leben bleibt. Obwohl die Gefühle des Bahnwärters Thiel sehr genau beschrieben werden, bekommt man erst beim Tod von Tobias seinen unglaublich großen Schmerz mit. Erst dann fühlt man, was er fühlt, die Erzählweise verändert sich trotzdem nicht.
„Bahnwärter Thiel“ ist ein eher langweilig geschriebenes Buch. Es erzählt vieles zu genau, auf einiges wird dafür gar nicht eingegangen. Im Mittelpunkt steht natürlich jener Bahnwärter, der nach dem Tod seines ersten Sohnes, Frau und Kind tötet. Es ist eine Beobachtung der Veränderung seines Gemützustandes. Erst auf den letzten Seiten „passiert“ die eigentliche Geschichte, erst dann beginnt man richtig zu lesen- und kann erst aufhören, wenn man weiß, wie es endet. Während also der Anfang recht schwer fällt, gewöhnt man sich später an den Stil und bewundert ihn sogar. Man ist betroffen von Tobias Schicksal, verwundert über das von Thiel, hat aber eine gewisse Schadenfreude Lenes Tod gegenüber, weil ihr von vornherein die Schuld an dem Unglück gegeben wird.